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April / Mai 2012

Liebe Gemeinde,

eine »Großmutter« unserer Johanneskirchgemeinde ist die Böhmische Exulantengemeinde. Das kam so: Mit dem tschechischen Kirchenreformer Jan Hus (um 1370 – 1415) begann die Reformation in Böhmen mehr als hundert Jahre eher als in Deutschland. Hus betonte die Orientierung an der Bibel und am eigenen Gewissen statt an der Tradition und kirchlichen Hierarchie. Auch seine theologischen Aussagen zum Abendmahl gewannen rasch viele Anhänger. Doch bis zur Religionsfreiheit von 1609 erlitten die protestantischen Christen in Böhmen schwere Verfolgungen. In Prag konnte erst 1611 bis 1614 die evangelische Salvatorkirche gebaut werden, der Ort unserer Partnergemeinde. Die Niederlage in der Schlacht am Weißen Berg bei Prag beendete 1620 die kurze Freiheit der evangelischen Böhmen. Ihre Führer wurden hingerichtet, die Verfolgung der Protestanten begann wieder. Aus Glaubensgründen flohen von 1621 bis zur Mitte des Jahrhunderts etwa 36 000 Familien. Etwa die Hälfte dieser »Exulanten« (Auswanderer) kam nach Sachsen – auch nach Dresden, wo heute noch die Böhmische Straße nach ihnen heißt. Zuerst feierten die Böhmen ihre Gottesdienste in der Wohnung ihres Pfarrers Matthias Georgines. Seit Gründonnerstag 1650 nutzte die Gemeinde die hölzerne Friedhofskirche St. Johannis vor dem Pirnaischen Tor. Nur dort durften Gottesdienste auf Tschechisch stattfinden.

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Unser Titelbild zeigt das Holzkirchlein in einer Karte der Brandschäden des Siebenjährigen Krieges: Zahlreiche Häuser, auch rechts unten das Pfarrhaus und die Böhmische Schule, stehen in Flammen. Die Kirche blieb damals unbeschädigt. Ihr Nachfolge bau musste 1861 der Stadtmodernisierung weichen. 1878 bis 1880 baute die Exulantengemeinde deshalb ihre Erlöserkirche in Dresden-Striesen.

Die evangelischen Böhmen gaben sich große Mühe, die Geschichte ihren Kindern und Enkeln mitzuteilen. Vor allem sollte in Erinnerung bleiben, welch hohen Preis die Exulanten für ihre christlichen Überzeugungen zu zahlen bereit waren und wie die Gemeinde durch alle Bedrohungen bewahrt geblieben war. Über der Tür zum 1945 zerstörten Gemeindesaal auf der Paul-Gerhardt-Straße stand (nach 5. Mose 32,7): »Gedenke der vorigen Zeit bis daher und betrachte, was er getan hat an den alten Vätern. Frage deinen Vater, der wird dirs verkündigen, deine Ältesten werden dirs sagen.«

Der Gründonnerstag wurde als Gründungstag der Gemeinde gefeiert, weil am Gründonnerstag 1650 der erste tschechische Gottesdienst in einer Dresdner Kirche stattfand. Auch in diesem Jahr feiern wir am Gründonnerstag den Exulantengottesdienst auf der Haydnstraße. An diesem Tag wird beim Abendmahl der Kelch benutzt, den die Exulanten 1621 aus Prag nach Dresden mitbrachten. Lassen Sie sich einladen zu diesem Exulantengottesdienst – und zur Aufmerksamkeit auf die vielen Spuren der Böhmischen Exulanten und ihres Glaubens in unserer Gemeinde.

Mit herzlichen Grüßen
Reinhard John