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Oktober / November 2016
Nach der Geburt

Eine Geschichte zum Ewigkeitssonntag

Es geschah, dass im Mutterleib Zwillinge heranwuchsen. Die Wochen vergingen, und in dem Maß, in dem das Bewusstsein wuchs, stieg die Freude. »Ist es nicht großartig, dass wir gezeugt und empfangen wurden?! Ist es nicht wunderbar, dass wir leben?!« sagte der eine zum anderen.

Die Zwillinge begannen ihre Welt zu entdecken. Als sie die Schnur fanden, die sie mit ihrer Mutter verband und ihnen Nahrung gab, da sagten sie voll Freude: »Wie groß ist die Liebe unserer Mutter, dass sie ihr eigenes Leben mit uns teilt!«

Die Wochen vergingen und wurden schließlich zu Monaten. Die Zwillinge merkten plötzlich, wie sehr sie sich verändert hatten. »Was soll das heißen?« fragte der eine. »Das heißt«, sagte der andere, »dass unser Aufenthalt in dieser Welt bald seinem Ende zugeht. Alles hat seine Zeit, und jeder muss irgendwann gehen.« »Aber ich will gar nicht gehen«, erwiderte der eine. »Ich möchte für immer hier bleiben.« »Wir haben keine andere Wahl«, entgegnete der andere, »aber vielleicht gibt es ein Leben nach der Geburt!«

»So ein Unsinn«, sagte der erste, »wir werden unsere Lebensschnur verlieren! Und wie sollen wir ohne sie leben können?! Und außerdem haben andere vor uns diesen Mutterleib verlassen und niemand von ihnen ist zurückgekommen und hat uns gesagt, dass es ein Leben nach der Geburt gibt! Nein, die Geburt ist das Ende!«

Da wurde der eine von ihnen richtig schwermütig und sagte: »Wenn die Zeugung mit der Geburt endet, welchen Sinn hat dann das Leben im Mutterleib? Es ist sinnlos. Womöglich gibt es gar keine Mutter hinter allem.« »Aber sie muss doch existieren «, protestierte der andere. »Wie sollen wir sonst hierher gekommen sein? Und wie könnten wir am Leben bleiben?«

»Hast du je unsere Mutter gesehen?« fragte der eine. »Womöglich lebt sie nur in unserer Vorstellung. Wir haben sie uns ausgedacht, weil wir dadurch unser Leben besser erklären und verstehen können.« Und so waren die letzten Tage im Mutterleib gefüllt mit vielen Fragen, Zweifeln und Ängsten. Schließlich kam der Moment der Geburt. Als die Zwillinge ihre Welt verlassen hatten, öffneten sie die Augen. Sie schrien, was sie sahen übertraf ihre kühnsten Erwartungen.

Autor nicht bekannt.

Reformationstag

31. Oktober: Erinnerungstag an den Beginn einer Reformation der Kirche. Vorbei seit 500 Jahren? Martin Luther...? Man muss den Mann nicht mögen. Bemerkenswert ist aber bis heute, wie er gegen Ängste gekämpft hat. Teufel und Hexen galten in allen Teilen der Bevölkerung als Realität. Die Angst vor einer Hölle mit Folter-Teufeln war verbreitet, und die damalige Kirche machte damit fette Geschäfte. Wer Geld hatte, konnte sich von Sünden und den darauf angedrohten Höllenqualen, eigentlich aber: von der Angst davor, freikaufen.

Durch intensives Studium der Bibel hatte Luther begriffen: Wer auf Gott vertraut, braucht vor niemandem Angst haben und wird niemandem Angst machen. Deshalb wollte er dem Geschäft mit der Angst ein Ende setzen und legte sich mit einflussreichen Leuten an mit dem Ziel, dass die Menschen angstfreier glauben und leben können. Dafür riskierte er seine eigene Freiheit, sein Wohlergehen, sein Leben. Was ihn vielleicht selber überrascht hat: dass sich nach seinem provokativen Anstoß Verbünde an seine Seite stellten: mächtige Landesherren, Professoren, Künstler. Das Licht seines Mutes hat in anderen Mut und Zuversicht entzündet. Zusammen mit Freunden und Verbündeten ist es schon etwas einfacher mutig zu sein. Trotzdem war das eingegangene Risiko für Luther und seine Freunde beträchtlich.

Das Gedenken an den mutigen Martin Luther und seine Reformation sollte uns nicht dazu bringen, ihn auf hohe Denkmalsockel zu hieven, steil zu ihm aufzuschauen und uns dabei selber klein zu fühlen.

Nehmen Sie den Gedenktag stattdessen zum Anlass, in Ihre eigene Geschichte zu schauen und sich zu erinnern, wann und wo Sie selbst einmal oder mehrmals etwas Mutiges getan haben. (Sie müssen nur lange genug überlegen.) Denn für unsere Kirche und Gesellschaft heute ist unser eigener Mut wichtiger als Luthers Mut damals. Wie war das, als Sie etwas Mutiges getan haben? Wo kam Ihre Kraft dazu her? Wo finden Sie diese Kraft heute? Wofür hätten Sie heute gern mehr Mut? Schon mit jemandem darüber geredet? Schon nach möglichen Verbündeten geschaut?

Manchmal kommt der Mut aus der Wut. Dann braucht es nur noch Besonnenheit, und ein Strategieplan entsteht. Aber Sie wissen ja: Gott hat uns nicht einen Geist der Angst gegeben, sondern einen Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit. Erinnern Sie sich an Ihren Mut, an Ihre Kraft, an Ihre Weisheit und Ihren guten Draht zum Schöpfer und Herr der Welt!

Roija Weidhas