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Oktober/November 2015

Liebe Gemeinde,

Am 11.11. feiern wir Sankt Martin. In Vorfreude auf einen Abend mit Martinsspiel, Laternenumzug und Lagerfeuer in der Trinitatiskirchruine backen wir im Kindergarten Martinshörnchen und proben für das Martinsspiel. Doch wer war Martin, den wir am Martinstag feiern?

Martin wurde um 316/317 in Savaria in der römischen Provinz Pannonia prima, heute Ungarn, geboren. Aufgewachsen ist er in Pavia/Oberitalien, der Heimat seines Vaters, eines römischen Offiziers. Mit 10 Jahren begann er mit dem Taufunterricht, getauft wurde er jedoch erst als 18-Jähriger. Mit 15 Jahren ging er zum Militär, wozu er als Sohn eines römischen Militärs verpflichtet war. Vor einer Schlacht gegen anrückende Germanen in der Nähe des heutigen Worms verweigerte er als Offizier des römischen Besatzungsheeres die Teilnahme mit den Worten, er sei von nun an nicht mehr »miles Caesaris «, ein Soldat des römischen Kaisers, sondern »miles Christi«, Soldat Christi, und bat um Entlassung aus dem Armeedienst. Dies wurde ihm jedoch erst nach Ableistung seiner 25-jährigen Dienstzeit im Alter von 40 Jahren von Kaiser Julian gewährt. Ab 334 war Martin als Soldat der Reiterei der Kaiserlichen Garde in Amiens stationiert. Nach seiner Militärzeit gründete er Klöster und wurde schließlich 372 zum Bischof von Tours in Frankreich geweiht. Er half vielen Menschen in Not und setzte sich streitbar für den rechten Glauben ein. Martin starb 81-jährig am 8. 11. 397 in Candes bei Tours und wurde am 11. 11. 397 bestattet.

Um Martin gibt es zahlreiche Legenden. Bis heute prägen diese Geschichten unsere Martinsfeste und Traditionen. Einer der bekanntesten Legenden nach war Martin als römischer Soldat in Amiens stationiert und ungefähr achtzehn Jahre alt, als er an einem sehr kalten Tag auf einen Bettler stieß, der fast unbekleidet, erschöpft und dem Erfrieren nahe am Straßenrand saß. Martin hielt sein Pferd an, öffnete seinen Mantel und zerteilte ihn mit seinem Schwert in zwei Hälften. Die eine Hälfte legte er dem Bettler um die Schultern, die andere behielt er für sich. In der Nacht darauf hatte Martin einen Traum: Christus selbst begegnete ihm; er sah aus wie jener Bettler am Straßenrand, mit dem er den Mantel geteilt hatte. Christus sprach zu ihm und sagte: »Was ihr einem von diesen meinen geringsten Brüdern getan habt, das habt ihr mir getan.«

Wenn ich diese Geschichte höre, denke ich, dass Martin etwas getan hat, das so einfach und doch so schwer ist. Hoch auf seinem Pferd wäre es einfach gewesen, an dem Mann vorbeizureiten, ihn zu übersehen. Bettler gab es viele. Und Menschenleben zählten nicht viel in dieser Zeit. Aber Martin sah den Mann und mehr noch, er blieb stehen, stieg von seinem Pferd und half ihm in seiner Not. Er half unmittelbar mit dem, was er bei sich trug. Er zeigte Menschlichkeit.

Berlin Hauptbahnhof, ich steige aus dem Zug und haben einen kurzen Aufenthalt, bis mein Zug nach Dresden fährt. Ich hole mir einen Kaffee und trete auf den Vorplatz der Bahnhofshalle. Ich bin in Gedanken, erschöpft von der Fahrt, die Frau, die auf mich zukommt, bemerke ich erst spät. »Hallo, haben Sie ein bisschen Kleingeld für mich? Oder wollen Sie eine Zeitung?« Vor mir steht eine Frau um die 40, vielleicht ist sie auch jünger, in der Hand hält sie die Obdachlosenzeitung von Berlin. Mir kommen viele Gedanken. Wie kann es sein, dass jemand in so einem reichen Land wie Deutschland obdachlos ist? Gebe ich ihr Geld? Ich brauche jetzt keine Zeitung. Kann nicht jemand anderes helfen? »Ich kaufe eine Zeitung.«. Sie lächelt mich an und bedankt sich überschwänglich und wünscht mir einen schönen Tag. Für 1,50 Euro halte ich die Straßenzeitung in der Hand, die sogar lesenswert ist. In Erinnerung bleiben das Lächeln und die vielen Wünsche für mich.

Der, der friert, braucht Kleidung. Der, der hungert, braucht Essen. Der Kranke braucht Medizin. Der, der auf der Flucht ist, braucht Asyl. Jesus hat die Menschen gesehen, ist hingegangen und hat sie gefragt »Was willst du, dass ich dir tue?«. Menschlichkeit beginnt da, wo wir beginnen hinzuschauen, stehenbleiben, hinterfragen oder unsere Meinung sagen. Hilfe hat viele Gesichter. Menschlichkeit um der Menschen willen. Menschlichkeit, um Christus willen. Menschlichkeit für alle Menschen, denen wir begegnen.

Lassen Sie uns zum Martinsfest an diese Menschlichkeit denken, an diesem Tag und an allen anderen Tagen.

Im Namen aller Mitarbeiter grüßt Sie ganz herzlich
Ihre Anne Lauterbach.