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Juni / Juli 2017

Der Monatsspruch für Juli

Das ist es, worum ich bete: Eure Liebe soll weiterwachsen und zunehmend geprägt sein von Erkenntnis und umfassendem Verständnis.
Philipper 1,9
in der Übersetzung der Basisbibel.


Buntglasfenster, Petersdom, Rom

Liebe Gemeinde, dieser Spruch aus einem Brief des Missionars Paulus an eine Christen- Gemeinde in Philippi (heute Ostgriechenland) klingt in unseren Ohren zunächst süßlich-fromm und schwärmerisch. Bei dem Begriff "Liebe" denken wir heute an Sympathie-Gefühle, Zweisamkeit, Sehnsucht und Eifersucht oder an Gefühle der Verbundenheit oder Abhängigkeit in einer Familie. Gemeint war in dem Text aber die Fähigkeit, andere Menschen zu verstehen und sich ihnen gegenüber in Wort und Tat situationsangemessen, vorausschauend und lebensdienlich zu verhalten. Man könnte das auch "Sozialkompetenz" nennen. Wenn diese wächst, wie es in dem Vers heißt, dann entwickeln sich Fähigkeiten wie:
genaues Wahrnehmen von Menschen - Einfühlungsvermögen - die Fähigkeit, eigene Urteile und Meinungen momentan zurückzuhalten - Selbstbeherrschung (der eigenen Gefühle) - die Fähigkeit, eigene Gefühle wahrzunehmen und anderen bewusst zu zeigen, ohne sie zu verletzen - anderen zu erlauben, so zu sein, wie sie sind - Hilfsbereitschaft - Verschwiegenheit an der richtigen Stelle - Kritikfähigkeit - Bewusstsein der eigenen Fehlbarkeit - die Fähigkeit, gut zusammen zu reden, zu planen und zu arbeiten.

In unserem Monatsspruch betet Paulus für eben solches Wachstum in Verbindung mit Erkenntnis und Verständnis bei seinen Freunden. Heute würde man sagen: für Entwicklung von Sozialkompetenz, indem man eigenes Reden und Handeln immer wieder kritisch betrachtet und mit anderen bespricht. - Sie werden mir zustimmen, dass das eine hochanspruchsvolle Sache ist!

Die ersten Christengemeinden hatten offensichtlich diesen hohen Anspruch, und vielleicht ist das einer der Gründe, weshalb sie so anziehend waren, einen heute unvorstellbaren Zulauf hatten und sich (trotz grausamster Christenverfolgungen) in kurzer Zeit über das ganze große Römische Reich ausbreiteten. Das funktionierte so lange, bis im 4. Jahrhundert Kirchenmitgliedschaft zwangsmäßige Pflicht für alle Bürger wurde. Dieser Zwang hat zwar für 100% Mitglieder gesorgt, aber die Entfaltung und Entwicklung von besonderer Sozialkompetenz verhindert und den hohen Anspruch in dieser Sache in Vergessenheit gebracht. Ich meine: Deshalb fehlt unseren Gemeinden ein großer Teil dessen, was die frühen Gemeinden anziehend gemacht hat. Da der Zwang zur Kirchenmitgliedschaft seit etwa 100 Jahren immer mehr nachlässt und heute praktisch verschwunden ist, sinken die Mitgliederzahlen rapide. Kircheneigene Prognosen besagen, dass zwischen 2014 und 2040 die Mitgliederzahl um etwa 40% abnehmen wird.

Stellen Sie sich nun mal eine Gemeindegruppe vor, die "Sozialkompetenz" als ihr wesentliches Lernziel betrachtet und tatsächlich übt, sich darin anleiten lässt und über längere Zeit Fortschritte macht! In einer Welt, in der die soziale Kälte zunimmt, wäre sie super-anziehend! Warum sollten kirchliche Gruppen nicht an dieser ursprünglichen Tradition wieder anknüpfen?

Schwierig? Ja!! Eine Voraussetzung ist die Bereitschaft, sich selbst zu ändern - ein Wagnis, vor dem die meisten Angst haben. Es kommt aber nicht in erster Linie darauf an, ob wir uns so eine anspruchsvolle Lernaufgabe selbst zutrauen, sondern darauf, ob wir Gott zutrauen, dass er uns bei dieser Aufgabe wirksam helfen kann. Denn es ist eigentlich sein Projekt. Deshalb schreibt Paulus auch nicht: ich wünsche euch so eine Entwicklung, sondern: ich bete dafür.

Ein passendes Bild zu diesen Gedanken sehen Sie auf dem Titelblatt: die Taube als Symbol für den Heiligen Geist, der uns für das begeistert, wofür Gott uns ins Leben schickt.

Ihr Pf. Roija Weidhas